In dieser Folge von "Mal nach den Rechten schauen" beschäftigen sich Livia und Elisa mit dem Wiesbadener Juristenprozess von 1952: Fünf hochrangige NS-Juristen waren wegen ihrer aktiven Beteiligung an der Ermordung von Strafgefangenen in den Konzentrationslagern angeklagt. Im Gespräch mit Dr. Felix Wiedemann beleuchten wir das Schicksal der als unter dem Label “asozial” verfolgten Strafgefangenen – einer Opfergruppe, die sich unmittelbar in Obhut der Justiz befand - und lange Zeit übersehen wurde.
Redaktion, Moderation & Schnitt: Livia Giuliani und Elisa Costadura
Redaktion & Werbung: Whitney Nosakhare
Redaktionelle Unterstützung: Viktoria Moissiadis, Tabasom Djourabi-Asadabadi, Johannes Lintig, Jonas Höltig
🗝 InhaltDas Himmler-Thierack-Abkommen und die „Vernichtung durch Arbeit“ von Strafgefangenen
Die individuelle strafrechtliche Verantwortung einzelner Juristen für die Ermordung der Strafgefangenen in den KZs.
Warum NS-Juristen freigesprochen wurden und die Opfer keine Gerechtigkeit erfuhren. Und was das mit der Erinnerungskultur in der BRD zu tun hat.
Wie wurde der Begriff „Asoziale“ verwendet und welche weitreichenden Folgen das hatte.
Persönliche Reflexionen von Felix Wiedemann über seine familiäre Verbindung zu einem der Angeklagten.
💡 Wichtige PunkteUnter dem Himmler-Thierack abkommen wurde beschlossen, dass einige Strafgefangene generell deportiert und ermordet werden sollten, darunter Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, Menschen in Sicherungsverwahrung (meist als “Berufsverbrecher” Verfolgte), Menschen aus Polen, Russland und der Ukraine. Bei allen anderen war eine individuelle Überprüfung durch einige wenige Ministerialbeamte vorzunehmen -wer als “asozial” eingestuft wurde, wurde deportiert.
Der Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus lehnt den Begriff „Asoziale“ ab und spricht sich dafür aus, dass von sozialrassistisch Verfolgten gesprochen werden solle. Die sozialrassistisch Verfolgten fanden ebenso wie die als Berufsverbrecher Verfolgten erst 2020 als NS-Verfolgtengruppe Anerkennung. Für Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz war es dann zu spät. Zuvor hatte es nur vereinzelt Entschädigungen für “individuelle Härten” durch die KZ-Haft unter den Härterichtlinien des Kriegsfolgengesetzes gegeben. Bis 2019 erhielten hierüber 288 als “Asozial” und 46 als Berufsverbrecher Verfolgte Entschädigung (Bundestagsdrucksache 19/14342).
Der Prozess zeigt die systematische Abwehr von Verantwortung durch NS-Juristen und die mangelnde Aufarbeitung in der (frühen) Bundesrepublik.
Die meisten der Angeklagten führten nach dem Prozess ihre Karrieren in der Juristerei unbehelligt weiter.
🔍 QuellenInterview mit Felix Wiedemann vom15.10.2022
Felix Wiedemann: “Anständige” Täter -”asoziale” Opfer, VfZ 4/2019
Helmut Kramer: Der Beitrag der Juristen zum Massenmord an Strafgefangenen und die strafrechtliche Ahndung nach 1945, KJ Vol. 43, N. 1 (2010), S. 89-107
Folgenbild: Urteilsausfertigung des Urteils im Wiesbadener Juristenprozess, aus dem Nachlass von Friedrich Wilhelm Meyer, zur Verfügung gestellt von Felix Wiedemann
Weiterführende LinksVerband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus: https://www.dieverleugneten-vevon.de/
Vom 13. Oktober 2024 bis zum 26. Januar 2025 bietet die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas kostenlose öffentliche Führungen durch die Wanderausstellung »Die Verleugneten« an. Die Ausstellung kann auch digital betrachtet werden unter https://www.die-verleugneten.de/
Anerkennung der Verfolgtengruppen im Bundestag am 13.02.2020: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw07-de-ns-verfolgte-680750
Triggerwarnung: Diese Folge thematisiert Gewalt und Verbrechen des NS-Regimes.